Es war einmal ein kleines süßes Mädchen, das von jedem geliebt wurde, der sie sah, aber am meisten von ihrer Großmutter, die ihr einmal ein kleines Käppchen aus rotem Samt schenkte. Weil es ihr so gut stand und sie nichts anderes mehr tragen wollte, wurde sie nur noch Rotkäppchen genannt.
Eines Tages sagte ihre Mutter zu ihr: „Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst die Flasche, und die Großmutter hat nichts; und wenn du in ihre Stube kommst, vergiss nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Ecken herum.“
Rotkäppchen versprach ihrer Mutter, alles richtig zu machen, und die Mutter gab ihr die Dinge und öffnete das Türgitter für sie.
Der Großmutter wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf entfernt. Als Rotkäppchen nun in den Wald kam, begegnete ihr der Wolf. Rotkäppchen wusste aber nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm.
Der Wolf fragte sie, wo sie hingehen wolle. Rotkäppchen antwortete: „Zur Großmutter und bringe ihr Kuchen und Wein.“
Da gab ihm der Wolf gute Lehre und sagte: „Siehst du, Rotkäppchen, wie schön die Blumen tanzen? Du gehst ja so bedächtig, als ob du zur Schule gingest, und es ist so lustig draußen im Wald.“
Rotkäppchen hob die Augen auf und sah die Sonnenstrahlen hier und da durch die Bäume hin- und herspringen und dachte: „Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß bringe, das würde ihr auch Freude machen. Es ist noch so früh am Tag, dass ich rechtzeitig ankomme.“
Und sie lief vom Weg ab in den Wald hinein, Blumen suchend. Der Wolf ging indessen geradewegs zur Großmutter und klopfte an die Tür.
Die Großmutter rief: „Drück auf, ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“ Der Wolf drückte auf, trat ein und ging ohne ein Wort auf das Bett der Großmutter und verschlang sie.
Dann zog er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge zu.
Als Rotkäppchen aber ans Haus kam und die Tür aufdrückte, war sie so erstaunt, dass es ihr ganz seltsam vorkam. Sie ging zur Bettstelle und zog die Vorhänge zurück; da lag die Großmutter mit der Haube tief ins Gesicht geschoben, und sah so sonderbar aus.
„O Großmutter, was hast du für große Ohren!“ – „Dass ich dich besser hören kann.“ – „Aber Großmutter, was hast du für große Augen!“ – „Dass ich dich besser sehen kann.“ – „Aber Großmutter, was hast du für große Hände!“ – „Dass ich dich besser packen kann.“ – „Aber Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ – „Dass ich dich besser fressen kann.“
Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen.
Als der Wolf satt war, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, laut zu schnarchen.
Ein Jäger kam vorbei und dachte: „Wie die alte Frau schnarcht! Du musst sehen, ob ihr etwas fehlt.“
Er ging in die Stube und als er vor das Bett kam, sah er, dass der Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder!“ sagte er. „Ich habe dich schon lange gesucht.“
Ernahm sein Gewehr und schoss den Wolf tot. Dann schnitt er dem schlafenden Wolf den Bauch auf. Kaum hatte er ein paar Schnitte getan, da sah er das rote Käppchen schimmern. Er schnitt noch ein paar Schnitte, und das Mädchen sprang heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken, wie war es so dunkel im Wolfsmagen!“
Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig hervor, allerdings konnte sie kaum atmen. Rotkäppchen holte schnell große Steine herbei, mit denen sie den Bauch des Wolfs füllten. Als er aufwachte und davonlaufen wollte, waren die Steine so schwer, dass er gleich umfiel und tot war.
Sie waren alle drei froh. Der Jäger zog dem Wolf das Fell ab und ging damit nach Hause, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen mitgebracht hatte, und erholte sich wieder; aber Rotkäppchen dachte bei sich: „Du willst dein Lebtag nicht mehr von dem Pfad ablaufen, wenn dir die Mutter etwas gesagt hat.“
Und das ist das Ende der Geschichte von Rotkäppchen, einem klassischen europäischen Märchen. Es ist eine Geschichte, die uns lehrt, auf unsere Eltern zu hören und vorsichtig mit Fremden zu sein. Es ist auch eine Geschichte, die uns zeigt, dass selbst in den gefährlichsten Situationen Rettung möglich ist. Es ist eine perfekte Gutenachtgeschichte, die sowohl Spannung als auch wichtige Lektionen enthält.